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Charlotte
ist von den drei Schwestern die einzige, die klare Aussagen über ihre
Beziehung zu Männern trifft. Auch gibt sie ihren Freundinnen gegenüber
ihre Ansichten über die Liebe und die Ehe zu.
Charlotte
leidet in Bezug auf ihre Weiblichkeit und weibliche Anziehungskraft ihr
Leben lang unter den schlimmsten Minderwertigkeitskomplexen.
Beschreibungen
über ihre Erscheinung deuten darauf hin, dass sie bereits als Kind, ein
sonderbares Geschöpf gewesen sein muss. Eine Beschreibung ihrer
Schulfreundin Mary Taylor, die sich an die erste Begegnung mit Charlotte
erinnert:
"Sie
sah aus wie eine kleine, alte Frau (Charlotte ist damals 14 Jahre alt)
und war so kurzsichtig, dass sie fortwährend den Eindruck erweckte, als
suche sie etwas und bewege ihren Kopf hin und her, um des Gegenstandes
ansichtig zu werden. Sie war sehr scheu und nervös und sprach mit einem
starken irischen Akzent. Gab man ihr ein Buch, ließ sie ihren Kopf so
tief hinuntersinken, dass ihre Nase beinahe darauf stieß. Wenn man ihr
sagte, sie solle den Kopf heben, folgte das Buch dieser Aufwärtsbewegung,
bis es dicht vor ihrer Nase war, so dass es unmöglich war, ein Lachen
zu unterdrücken."
Charlotte
blieb sehr klein, nicht größer als 1,47 m. Sie war dünn und schnürte
sich noch zusätzlich, gemäß der Sitte der Zeit, in ein Korsett, nach
Aussage ihres späteren Verlegers bis an die Grenze des Verschwindens.
Ihre langweiligen, grauen und schwarzen Kleider unterstrichen den
Eindruck einer grauen Maus. Später in ihrem Leben trägt sie elegantere
Kleider und wagt sich auch einmal hier und da an Farben. Ihre Biografin
Gaskell beschreibt ihr Gesicht später als hässlich und
unproportioniert mit schiefem Mund und großer Nase. Charlotte legte
Wert auf eine tadellose, gepflegte Kleidung und darauf, dass ihre
winzigen Hände und Füße immer in sehr korrekten Schuhen und
Handschuhen steckten.
Charlotte
Noch
eine Beschreibung ihres Verlegers aus dem Jahr 1848 (Charlotte ist 32
Jahre alt): "(Charlotte erschien mir...) eher interessant als
attraktiv. Sie war sehr klein und sah ein wenig wunderlich und
altmodisch aus. Ihr Kopf schien für ihren Körper zu groß. Sie hatte
schöne Augen, aber ihr Gesicht war von der Form ihres Mundes und ihrem
schlechten Teint entstellt. Sie hatte wenig weibliche Reize und war sich
dieser Tatsache ständig mit Unbehagen bewusst."
Noch
weniger mit Kritik hält sich ein Schriftstellerkollege zurück, G.H.
Lewes, der schlecht mit Charlottes schriftstellerischem Erfolg umgehen
kann. Er beschreibt sie um 1950 als "unscheinbare, kleine,
provinzielle, kränklich aussehende alte Jungfer". Charlotte ist 34
Jahre alt.
Diese
harten Kritiken wirken sich natürlich auf das Selbstbild Charlottes
aus: Sie ist über die Maßen schüchtern und hat stets das Gefühl,
anders zu sein. Sie schreibt: "Ich habe bemerkt, dass ein Fremder,
der einmal in mein Gesicht gesehen hat, sorgsam vermeidet, seine Augen
ein zweites Mal in meine Richtung schweifen zu lassen."

Charlotte,
Portrait von George Richmond
Ihr
Verleger Smith äußert sich später, Charlotte hätte willig ihr ganzes
Genie dafür hergegeben, wenn sie hätte schön sein dürfen.
Smith
ist jedoch andererseits recht fasziniert von Charlotte und entdeckt
ihren Charme, ihren Geist und Esprit und ihr leidenschaftliches Gemüt.
Ein Zitat: "Ich ... fand das Gespräch mit ihr höchst interessant;
ihre schnelle, wache Intelligenz war ein Vergnügen. Wenn sie sich über
ein Thema erregte, sprach sie mit großer Eloquenz, und es war ein
Genuss, ihr zuzuhören."
Charlotte
geht schon sehr früh in ihrem Leben davon aus, dass sie nicht heiraten
wird. An ihre Freundin Ellen schreibt sie von grundlosen Hirngespinsten,
als diese ihr das Gerücht vorträgt, sie sei nur das zweite Jahr nach
Brüssel gegangen, um sich einen Ehemann zu angeln: "Es ist kein
Verbrechen, sich zu verheiraten oder den Wunsch danach zu hegen, aber es
ist ein Wahnsinn, den ich mit Verachtung zurückweise, wenn es um Frauen
geht, die weder Schönheit noch Vermögen besitzen."
Vorher
hat sie Ellen bereits mitgeteilt, dass sie sich seit ihrem 12.
Lebensjahr damit abgefunden habe, eine alte Jungfer zu werden.
Und
ihre Vorstellungen über Ehe, Liebe und Leidenschaft erfahren wir in
einem anderen Brief:
"Was
heftige Leidenschaft betrifft, bin ich überzeugt, dass sie kein wünschenswertes
Gefühl ist. Zum ersten wird sie selten oder nie ihren Lohn finden; und
zweitens, wenn dies der Fall sein sollte, wird das Gefühl nicht
dauerhaft sein. Es wird während der Flitterwochen andauern und dann
Abscheu Platz machen oder Gleichgültigkeit, die vielleicht noch
schlimmer ist als Abscheu. Auf Seiten des Mannes wäre dies gewiss der
Fall; und auf Seiten der Frau - Gott steh' ihr bei, sollte sie mit ihrer
leidenschaftlichen Liebe allein gelassen werden. Ich bin ziemlich fest
davon überzeugt, dass ich niemals heiraten werde. Das sagt mir die
Vernunft, und ich bin nicht so vollkommene Sklavin des Gefühls, um
nicht zuweilen ihren Ruf zu vernehmen."
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