
Relief
von Branwell
Während
die drei Brontë-Mädchen Anne, Emily und Charlotte sich durch ihr
Schreiben während ihrer Kindheit in den Jahren 1826 bis 1840
stilistisch und schreibtechnisch entwickeln, kann der Bruder Branwell,
nicht minder begabt als seine Schwestern, keinen wirklichen
Erwachsenenstil entfalten und wird später sowohl als Schreiber als auch
als Portraitmaler - ein Gebiet, für das er ebenfalls Begabung aufweist
- scheitern.
Die
tragische Entwicklung, die der Bruder Branwell nimmt, soll später einen
nicht unerheblichen Einfluss auf das Lebensgefühl und das Schreiben
seiner Schwestern haben.
Die
ganze Familie setzt große Hoffnungen in den einzigen Sohn, der schon früh
als genialer Orgelspieler, Schreiber und Maler auffällt.

Selbstkarikatur
Vor
allem sein Talent für die Ölmalerei fördert seine Familie durch einen
bezahlten Kunstlehrer. Doch zwei Wochen, nachdem Branwell mit einer beträchtlichen
Summe Geldes nach London aufgebrochen ist, um mit Empfehlungsschreiben
ausgestattet an der Royal Art Academy mit dem Kunststudium zu beginnen,
taucht er ohne einen roten Heller wieder zu Hause auf. Das Geld ist
seiner Aussage nach gestohlen worden, doch es gibt Hinweise darauf, dass
er selbst das Geld im Wirtshaus oder am Spieltisch gelassen hat. Alle
angenommenen Arbeitsstellen, z.B. Stellen bei der Eisenbahn, zwei Posten
als Hauslehrer, verliert Branwell nach kurzer Zeit wegen untragbaren
Verhaltens: Alkoholismus und Opiumsucht sind vermutlich gewichtige Gründe.
Sowohl
seine Ambitionen als Porträtmaler als auch die als Schriftsteller
scheitern aufgrund seiner unrealistischen Selbsteinschätzung. Sein
Geld, das er mit teilweise gelungenen Ölporträts verdient, gibt er
sofort im Black Bull, einer Haworther Kneipe, aus.

rechts
im Bild: der "Black Bull"
Zum
Schluss ist er bei allen so verschuldet, dass er die Schulden nur noch
mit Porträts bezahlen kann. Sein brieflicher Austausch mit berühmten
Dichtern seiner Zeit, z.B. Coleridge oder Wordsworth, die Branwell
unaufgefordert mit seinen Gedichten behelligt, erscheint anmaßend: er möchte
Anerkennung von den Dichtern erfahren und sich ihrer Protektion
versichern. Auch seine Versuche, als Journalist zu arbeiten, scheitern
aufgrund seiner Selbstgefälligkeit und Selbstüberschätzung.
Samuel Taylor Coleridge

In
einem Anfall von Selbsterkenntnis schreibt Branwell später einmal an
einen Freund: "Ich war bestrebt, etwas zu schreiben, das es wert ist,
gelesen zu werden, aber ich habe es nicht gekonnt."
Die
Schwestern, die in Branwell vernarrt sind und ihn verwöhnen, können
seinen Niedergang durch die Sucht nur verarbeiten, indem sie darüber in
ihren Büchern schreiben. Branwells Verhaltensweisen begegnen uns sowohl
in Charlottes Roman "Jane Eyre" in der Figur des John Reed, des
grausamen Ziehbruders Janes, als auch in den Figuren aus Annes beiden Büchern:
einmal ist da im Roman "Agnes Grey" der Gutsbesitzer Ashby, den
Agnes' Schülerin Rosalie aus rein wirtschaftlichen Gründen heiratet, und
der Rosalie mit seiner Trunk- und Spielsucht das Leben zur Hölle macht,
dann stärker noch die Figur des Arthur Huntingdon im Roman "Die Hüterin
von Wildfell Haus". Messerscharf analysiert und beschreibt Anne mit
dieser Person den Niedergang ihres Bruders.
Auch
Emily setzt sich in ihrem Buch "Sturmhöhe" mit dem Typ Branwell
auseinander. Hier begegnet er uns als Hindley Earnshaw, der Bruder der
Heldin Cathrine, der den Gutshof "Wuthering Heights" durch seine
Trunksucht und Spielleidenschaft herunter wirtschaftet und somit ein
leichtes Opfer für den rachsüchtigen Heathcliff wird.
Während
des Endstadiums Branwells schreibt Charlotte ihrer Freundin Ellen über
ihn:
"Du
fragst, ob es uns besser geht. Ich wünschte ich könnte etwas Günstigeres
berichten - aber, wie könnte es uns besser gehen, solange Branwell zu
Hause ist und es mit ihm schlimmer statt besser wird... Er will nicht
arbeiten - und zu Hause laugt er alle Kräfte aus - ein Hindernis für
jedes Glück. Aber was nutzen die Klagen."
Und
Emily schreibt in einem Gedicht (von dem allerdings nicht unbedingt davon
ausgegangen werden kann, dass es auf ihren Bruder bezogen ist):
"Nun,
manche mögen hassen und manche mögen höhnen
Und
manche selbst deinen Namen vergessen,
Aber
mein betrübtes Herz wird für immer
Deine
vernichtete Hoffnung, deinen zerstörten Ruhm beklagen ..."
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