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Nachdem das
Buch "Jane Eyre" von Charlotte bzw. Currer Bell gleich nach
Erscheinen ein Bestseller wurde, beginnen sich sofort Gerüchte um die Identität des
Autors/der Autorin zu bilden. Der Titel der Erstausgabe "Jane
Eyres" lautet "Jane Eyre - Eine Autobiografie - herausgegeben
von Currer Bell". Das legt dem Leser die Vermutung nahe, es handele
sich um die Lebenserinnerungen einer inzwischen verstorbenen Frau, die
von dem bislang in der Literaturwelt unbekannten Currer Bell
herausgegeben wurden.
Die zweite
Auflage trägt auf Rat des Verlegers schon einen geänderten Titel: das
"herausgegeben" wird fallen gelassen. Außerdem widmet
Charlotte die 2. Auflage dem von ihr verehrten Autor William M.
Thackeray, der nach Erscheinen der ersten Auflage, eine sehr
wohlwollende Kritik geschrieben hatte.

William
M. Thackeray
Nach der 2.
Auflage und nach Erscheinen von "Agnes Grey" von Anne und
"Sturmhöhe" von Emily beginnt das Gerücht zu kursieren, die Verfasser
Acton Bell (Annes Pseudonym), Ellis Bell (Emilys Pseudonym),
Currer Bell seien alle die gleiche Person. Wer Bücher der Autorinnen Brontë
gelesen hat, merkt sofort, dass sie thematisch und stilistisch
große Unterschiede aufweisen.
Möglich, dass
man im Vergleich von Charlottes und Annes Werken Ähnlichkeiten
feststellen kann, die "Sturmhöhe" von Emily steht allerdings
in der Literaturlandschaft da wie ein Monolith.
Der Verleger
von Annes Buch "Agnes Grey" und Emilys "Sturmhöhe"
in einem Band, Newby, wittert durch die Gerüchteküche eine Chance für
sich: Weil der Ruhm der Bells schon nach Amerika gedrungen ist, verkauft
Newby Annes 2. Buch "Die Hüterin von Wildfell Hall" als neuestes und
natürlich bestes Buch des Erfolgsautors Currer Bell alias Charlotte an
seine amerikanischen Lizenznehmer.
Auch
Charlottes Verlag "Smith & Elder" arbeitet mit einem
amerikanischen Partnerverlag zusammen, mit dem sie ausgehandelt haben,
dass er das jeweils neueste Buch von Currer Bell erhält. Das plötzliche
Erscheinen der "Hüterin von Wildfell Hall" als Currers Buch
in Amerika verärgert Smith & Elders' Partnerverlag sehr. Und Smith
& Elder sind ebenfalls überaus empört; auch sie müssen
mittlerweile vermuten, dass alle Bücher der Bells von ein und derselben
Person, nämlich Currer, geschrieben wurden, und dass der vermeintliche
Autor, seine Werke an Smith & Elder vorbei gewinnbringend an andere
Verlage verkauft.
Man schreibt
einen zwar höflichen, aber zwischen den Zeilen verstimmten Brief an
Currer Bell mit der Bitte um Aufklärung der Situation.
Charlotte und
Anne sind über den Brief des Verlags, der am 7. Juli 1848 eintrifft, völlig
schockiert: Sie empfinden es als untragbar, dass sie grundehrliche
Personen verdächtigt werden, einen derartigen Betrug begangen zu haben.
Sie beschließen, die Sache sofort aus der Welt zu räumen. Morgens
erhalten die Autorinnen den Brief von Smith & Elder, nachmittags
machen sich Charlotte und Anne bereits auf den Weg nach London. Ein
Junge aus dem Dorf bringt den Koffer nach Keighley an die Bahn, die
Schwestern wandern zu Fuß die 6 1/2 km. Von Keighley fahren sie nach
Leeds und steigen dort in den Nachtzug nach London um, wo sie am frühen
Samstag Morgen des 8. Juli total geschlaucht und übernächtigt in
Euston-Station eintreffen.
Sie kommen in
einem kleinen Hotel unter, das Charlotte von einem früheren
London-Aufenthalt schon kennt. Obwohl das Hotel ganz in der Nähe, 10
Minuten zu Fuß, des Verlags Smith & Elder, ihrem Ziel, liegt,
verlaufen sich die beiden Landpomeranzen zunächst in den überfüllten
Londoner Straßen und irren eine Stunde umher.
Charlottes
Begegnung mit ihrem Verleger ist amüsant und soll hier aus der
Beschreibung von George M. Smith, dem Juniorchef des Hauses, einem
damals 24-jährigen sympathischen Herrn, wiedergegeben werden:
"Ich war
in meinem Büro an der Arbeit, als ein Angestellter mich davon
unterrichtete, dass zwei Damen mich zu sprechen wünschten. Ich war sehr
beschäftigt und ließ um ihre Namen bitten. Der Angestellte kehrte zurück
und sagte, dass die Damen es ablehnten, ihre Namen zu nennen, mich
jedoch in einer privaten Angelegenheit zu sprechen wünschten. Nach
einem Augenblick des Zögerns bedeutete ich ihm, die Damen
hereinzubitten. Ich war in meinen Gedanken mitten in einer Korrespondenz
und weit entfernt von Currer Bell und "Jane Eyre". Zwei
ziemlich altmodisch gekleidete Damen, blassgesichtig und ängstlich
blickend, betraten mein Zimmer; eine der beiden trat vor und überreichte
mir einen Brief, der in meiner eigenen Handschrift die Aufschrift trug:
"An Currer Bell Esq." (Esq.
kommt von Esqire und ist eine Art Titel wie etwa "der
Ehrenwerte" oder "der Hochwohlgeborene").
Ich bemerkte, dass der Brief geöffnet worden war, und sagte mit einiger
Schärfe: "Woher haben Sie diesen Brief?" "Vom
Postamt", war die Antwort, "er war an mich adressiert. Wir
sind zu zweit gekommen, damit Sie sich durch den Augenschein davon überzeugen
können, dass es mindestens zwei von uns wirklich gibt". Das war
also "Currer Bell" in Person!"
Bis dahin
hatte niemand die geringste Ahnung, wer sich hinter den drei Bell-Brüdern
verbirgt. Interessant ist die Frage, wie die Brontës ihre Pseudonyme und
ihre Schriftstellertätigkeit vor ihrer Familie verbergen konnten.
Zumindest zu dem Zeitpunkt, als ihre Bücher von Verlagen angenommen
wurden, gab es ja eine ziemlich umfangreiche Korrespondenz mit
Manuskripten, Briefen, Korrekturfahnen.
Vater und
Bruder waren in das heimliche Tun der drei Schwestern nicht eingeweiht.
Zunächst
hielten die Drei die Verlage an, die Post an "Currer Bell Esq."
an ihre Adresse ins Pfarrhaus in Haworth zu schicken. Das vermittelte
einerseits den Eindruck, ein gewisser Currer Bell regelte für sich und
seine Brüder die Geschäfte, gab aber auch dem Gerücht Vorschub, es
handele sich bei den Autoren um ein und dieselbe Person.
Und irgendwann
musste natürlich die Panne passieren, dass der ahnungslose Vater die
Post entgegen nahm und darüber mit dem Briefträger ins Gespräch kam.
Der Briefträger fragte Patrick Brontë, wer denn eigentlich Herr Currer
Bell sei, für den er in der letzten Zeit so viele Briefe auslieferte.
Patrick entgegnete, dass er in seiner ganzen Kirchgemeinde keinen Currer
Bell kenne, dass es sich wohl um eine Verwechslung handeln müsse. Er
schickt den Postboten mit einem Korrekturpaket wieder weg. Ab diesem
Zeitpunkt ließen sich die Schwestern die Post unter Currer Bell c/o C. Brontë
zuschicken.
Witzig ist
auch, dass Charlotte ihre Schreiberei und ihren Erfolg damit vor ihren
Freundinnen geheim hielt. Als Ellen sie auf das Buch "Jane
Eyre" - den neuesten Bestseller des Landes - anspricht, schreibt
Charlotte ihr, sie könne ihr gar nichts dazu sagen, weil sie das Buch
noch nicht gelesen habe.
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